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Bildung und Kultur – Learning from Culture

Dokumentation Personalführung


Personalführung 12-2016

Der Motivationskreislauf

Dr. Helmut de Craigher

Was ist Motivation? Ratgeber aus Wissenschaft und Beratung geben verwirrend widersprüchliche Auskunft. Die üblichen Incentive-Programme entpuppen sich längerfristig oft als Verwöhn- und als Demotivationsprogramme. Warum? Weil sie sich mehr auf die Gegenwartsvorteile als auf die Zukunft, mehr auf Bedürfnisse als auf sinnvolle Ziele richten. Wenn Sie Ihren Mitarbeitern einen Gefallen tun wollen, bieten Sie ihnen Chancen, mit sinnvollen Zielen Erfolge zu erleben.

Das falsche Rezept: Bedürfnisbefriedigung !

Marketing soll Bedürfnisse wecken und zum Kauf anregen, "Incentives" sollen ebenfalls Bedürfnisse suchen, wecken und durch Bedürfnisbefriedigung Zufriedenheit der Mitarbeiter herstellen. Man kann jedoch aus verschiedensten Gründen zufrieden sein. Zufriedenheit ist vor allem keine Leistungsbereitschaft, sondern liegt ja häufig gerade dann vor, wenn nicht geleistet werden muss. Auch "Zufriedenheitsmessungen" können deshalb in die Irre führen! Bedürfnisse werden definiert als "Gefühl des Mangels". Dieses Mangelgefühl wird durch einen Reiz, wie Hunger, Müdigkeit oder Regen, ausgelöst und führt zu dem Wunsch, den Mangel zu beheben. "Bedürfnis" ist also ein Mangelbegriff! Und Bedürfnisse befriedigen führt oft nur zum Rückfall in die Trägheit.

Motive sind Bedürfnisregulatoren

Motive wirken dagegen als seelische Kraftquellen. "Motus" (lat.) bedeutet "Bewegung" oder "Energie". Es handelt sich also um einen Überfluss-Begriff! Heute werden – wie bereits vor Siegmund Freud – Motive als die "psychologischen Muskeln" angesehen, die uns die Kraft geben, Bedürfnisse zu verschieben und zu regulieren (So z.B. Amitai Etzioni). Motive sind also Bedürfnisregulatoren! Motivation stammt NICHT aus der Bedürfnisbefriedigung. Motivation richtet sich immer auf einen Sinn. Sie wächst in dem Maße, wie dieser Sinn konkretisiert und praktisch erreicht wird. Motivation entsteht aus der Erfahrung, etwas Sinnvolles bewegen zu können.

Falsche Lehren, falsche Praxis

Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Die Führungslehre zwischen den 30er und den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts übernahm eine gänzlich fehlgeleitete Idee aus der amerikanischen empirischen Psychologie. Man war sich dort über die Messung verschiedener Seelenäußerungen nicht sicher und machte sich deshalb die Sache mit der Psyche einfach: Motive wurden einfach mit den naturhaften Bedürfnissen gleichgesetzt. Man nannte beides schlicht "needs". Bis heute wird deshalb die A. Maslow zugeschriebene "Bedürfnispyramide" häufig falsch als "Motivpyramide" zitiert. Dieser Unterschied zwischen "Bedürfnissen" und "Motiven" war schon lange bekannt, manche Psychologen sprachen deshalb – was aber alles nur komplizierter machte – "von "primären Motiven" (= Bedürfnissen) und "sekundären Motiven" (= echte Motive). Die Gleichsetzung hatte einen tieferen Grund: Viele hielten den Menschen damals für eine Art chemisch-physikalische Maschine. Dieses Dafürhalten gipfelte bei den sogenannten "Behavioristen" in der S-O-R-Theorie, d.h. Stimulus-Organism-Response-Theorie. Wenn die Maschine ("O") die richtigen Reize ("S") bekommt, gibt sie die richtigen Antworten ("R"), also zum Beispiel Arbeitsleistung. Sollte "O" einmal nicht funktionieren, muss. es durch den Arzt, Tiefenpsychologen oder andere Psychotherapeuten "repariert" werden. Ein solcher S-O-R-Mensch wäre aber manipulierbar und deterministisch an sein biologisch-naturhaftes Wesen gekettet. A. Maslow hatte lebenslang versucht, dieses falsche Verständnis und die enge Begrenztheit des "Bedürfnis"-Begriffes zu überwinden, weil er an die menschliche Freiheit glaubte. Zuletzt schrieb er sogar von einem "transzententen", also religiösen Bedürfnis der Menschen, um der biologischen Determinierung zu wiedersprechen. Aber das Konzept "Bedürfnis" reicht nicht aus –das ist heute Stand der Forschung – um alleine die komplexen Vorgänge der Motivation zu erklären.

Vergangenheit contra Zukunft –"Reize" contra "Sinn"

Fassen wir die Unterschiede zusammen. Bedürfnisbefriedigung bedeutet Belohnung für Vergangenes. Motive sind Versprechen auf die Zukunft. Bedürfnisse zielen auf momentane Zufriedenheit. Motive setzten dagegen Willenskräfte für künftige Zufriedenheit frei. Bedürfnisbefriedigung macht ruhig, zufrieden – aber auch faul. Motive machen hungrig auf Veränderung, sie steigern den Tatendrang. Bedürfnisse werden durch Reize angetrieben, Motive treiben selber an. Sie treiben zu Tätigkeiten, die als sinnvoll empfunden werden.

Das ganze Spektrum menschlicher Ziele

Das Geheimnis des Unterschieds ist letztlich der, dass Motive sich vollkommen von den messbaren natürlich-biologischen Bedürfnissen lösen können. Was Menschen als "sinnvoll" ansehen, spielt sich in ihrem Kopf ab. Es ist frei und nicht notwendig an biologische Bedürfnisse gebunden. Den Menschen – Unternehmer, Mitarbeiter, Geschäftspartner usw. - steht die ganze Palette möglicher Ziele frei: Von materiellen, egoistischen über gemeinnützigen bis zu rein idealen Zielen! Motive bewirken, dass Menschen sinnvolle Ziele suchen oder vorhandene sinnvolle Ziele verfolgen.

Wissenschaft: Verwirrende Ratgeber

Aber sind nicht noch viele andere Elemente am Phänomen der "Motivation" beteiligt? Dazu konsultieren wir am besten einmal die Führungs-Lehrbücher. Die meisten Führungs-Lehrbücher zählen säuberlich ein gutes Dutzend bekannte und eine Unzahl weniger bekannter Motivationstheorien auf. Es handelt sich teils um echte und teils nur um vermeintliche Motivationstheorien. Sie befassen sich mit ganz unterschiedlichen Fragen. Hier nur ein unvollständiger Überblick:

Motivationsansatz Theorien zum Thema
Bedürfnisstruktur des Menschen
(Selbsterhaltungs-, Beziehungs- und Selbstentfaltungsbedürfnisse)
Abraham Maslow (1943), 
Clayton Alderfer (1969), u.v.a.
Motivtheorien
(Interessen, Handlungsmotive, Handlungsstile)
McClelland (1987),
Evelyn Kroschel (1996) (Polare Motiv-Typologie),
weitere Typologien, Führungsstil-Theorien auf Basis der Temperamenten-Lehre.
Selbstkonzept
(Selbstwirksamkeitserwartung, Internale und externale Kontrollerwartung)
SWE-Theorie nach Bandura (1976),
Soziale Lerntheorie von Rotter (1996), u.a.
Ressourcentheorien
(Werte, Kompetenzen, Gesundheit)
Kompetenztheorien (John Erpenback et al. 2013),
Tugendlehren (Aristoteles), daraus Selbstmanagement-Lehren,
z.B. von Stephen Covey (1996).
Externe Regulation
(Attraktivität von Organisationszielen,
Arbeitsmethoden, Aufgaben)
2-Faktoren-Theorie von Frederic Herzberg,
Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan (1985),
Zielsetzungstheorie von Locke & Latham (1986), u.a.
Erfolgsmotivation
(Zielerrreichung, Kompetenzerleben, Belohnung)
High-performance-Zirkel von Locke&Latham (1990),
Frustrations(vermeidungs-)theorien (MacClelland 1987)

Das Problem? Es fehlt an einer anerkannten Übersicht und Gesamtschau. Forscher untersuchen nach dem Vorbild der Naturwissenschaften meist nur streng isolierbare einzelne Fragen: Z.B. „Wie wirkt sich die Kundenzufriedenheit auf die Mitarbeiterzufriedenheit aus?“ – oder umgekehrt „Wie wirkt sich die Mitarbeiterzufriedenheit auf die Kundenzufriedenheit aus?“. Sogenannte Meta-Forschung, die aus vielen Einzelforschungen ein Gesamtbild zu erstellen sucht, gilt als zu riskant, zu spekulativ. Mit ihr riskiert der Akademiker sein wissenschaftliches Renommee.

Praktiker, was tun?

Der Praktiker hat angesichts dieser undurchschaubaren Komplexität wenige Möglichkeiten:
Erstens muss er/sie sich wieder auf die altbewährten Lebenserfahrungen verlassen – was gar nicht das Schlechteste ist. Nur leben wir leider in einer rastlosen Kultur, die Generationenerfahrungen ständig vergisst und gar nicht die Zeit hat, sie neu zu bilden.
Zweitens vertraut er/sie sich einem der Theoretiker oder Berater mit dessen Sonderkonzept an – und kann damit im besten Fall den einen oder anderen kleinen Erfolg landen. Kleine Schritte in die richtige Richtung sind oft recht wertvoll. Aber Fallen und ungewollte Rückwirkungen (wie im Falle großzügiger „incentives“ und Geschenke) können das Erreichte zunichte machen.
Drittens sollte er/sie einen eigenen Überblick über die vielen Theorien wagen. Die Wissenschaftler lassen die Praktiker in dieser Frage meistens alleine. Aber es gibt gesicherte Zusammenhänge. Und man kann immerhin die Aussagen auf den Zusammenhang hin prüfen, der im eigenen Unternehmen und Projekt vorliegt.

Der Motivations- und Entwicklungskreislauf

Deshalb hier ein Modell der Zusammenhänge, soweit sie einigermaßen gesichert gelten können. Der Titel deutet bereits eine wichtige These an. Der Motivationskreislauf bewirkt nämlich nicht nur Motivation, sondern dass der Mensch sich durch sinnvolle Tätigkeit stetig weiter entwickeln kann.

Als Fazit halten wir fest, dass die Motive von den Bedürfnissen herausgefordert werden, dass sie unsere seelischen Kraftquellen sind, dass sie aber nicht direkt auf die Bedürfnisse antworten, sondern nur insofern Sinnvorstellungen sie darin bestätigen.

Businesspartner unterstützen

Die Motivstruktur, das Selbstkonzept und die Sinnvorstellungen der Mitarbeiter – oder auch Geschäftspartner – fordern die Menschenkenntnis der Führungskräfte heraus. Sie wollen verstanden werden. Dies ist allerdings ein passives Instrument, das noch keine direkte Einwirkung ermöglicht.

Der stärkste aktive Hebel zur Unterstützung oder Hemmung der internen und externen Businesspartner liegt aber in der Gestaltung der externen regulierenden Ressourcen: Ziele, Aufgabeninhalte, Budgets, Arbeitsmittel, Arbeitsumfeld, Kommunikation und Führung.

Kommunikation und Führung sind die Königsdisziplinen

Bis auf Kommunikation und Führung haben sie den Vorteil, präzise zahlenorientiert planbar zu sein. Deshalb sind  Kommunikation und Führung die Königsdisziplinen in der Umsetzung von Projekten und Zielen. Sie gelingen nur, wenn Motive, Selbstkonzepte, Kompetenzen und Sinnvorstellungen der Mitarbeiter verstanden werden. So schließt sich für die Unternehmensführung der Motivationskreislauf.

 

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